Empfehlungen zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen
Wissenschaftliche Sammlungen und Objekte stellen für die Forschung in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen eine unentbehrliche Grundlage dar, viele Disziplinen sind erst durch Sammlungen entstanden. Teilweise werden in der Forschung mit und über Sammlungen herausragende Forschungsergebnisse generiert, die insbesondere etwa in der Evolutions-, Klima-, Biodiversitäts-, ethnologischen und archäologischen, kunst- und kultur- sowie technik- und wissenschaftshistorischen Forschung auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Aufmerksamkeit erlangt haben. Objektbasierten Sammlungen kommt durch ihre spezifische Materialität eine besondere Wirkung zu, die in Forschung und Lehre nutzbar gemacht wird.
Deutschland verfügt über eine vielfältige Sammlungslandschaft, die wissenschaftlichen Nutzerinnen und Nutzern als wertvolle Infrastruktur für ihre Forschung zur Verfügung steht. Das beachtliche wissenschaftliche Potential der Sammlungen wird vielfach bereits abgerufen und in wissenschaftlichen Publi- kationen und Ausstellungen verarbeitet. Neben einer Vielzahl an renommierten, hervorragend zugänglichen und nutzbaren wissenschaftlichen Sammlungen finden sich jedoch insbesondere an Universitäten zahlreiche Sammlungen, deren Potential aus unterschiedlichen Gründen – wie unzureichende Erschließung, Sichtbarkeit, Betreuung, Pflege oder Unterbringung – nicht angemessen ausgeschöpft werden kann. Das Potential wissenschaftlicher Sammlungen für die Forschung sollte im Interesse des Wissenschaftssystems besser nutzbar gemacht werden, auch um aktuell drängende gesamtgesellschaftlich relevante Fragen beantworten zu können.
Da Handlungsbedarf insbesondere im Hinblick auf universitäre Sammlungen besteht, stehen diese im Zentrum der Empfehlungen des Wissenschaftsrates. Die Empfehlungen richten sich allerdings nicht allein an Träger und Zuwendungsgeber der wissenschaftlichen Sammlungen, sondern fordern zugleich von den für die Sammlungen unmittelbar zuständigen Personen ein hohes Maß an Eigeninitiative und Selbstorganisation.
Von grundlegender Bedeutung ist eine Statusbestimmung der wissenschaftlichen Sammlungen. Die vorhandenen Bestände sollten durch die unmittelbar für die Sammlungen verantwortlichen Personen bzw. Institutionen anhand sammlungsspezifischer, primär auf wissenschaftliche Nutzung und Nutzbarkeit gerichteter Bewertungskriterien erfasst und qualitativ eingeordnet werden. Dies erhöht die Transparenz und Sichtbarkeit der Sammlungen und ermöglicht eine realistische Wertschätzung.
Die Universitäten sollten Sammlungsbeauftragte benennen, die eine übergreifende Perspektive einnehmen. Aus dieser Perspektive heraus sollten sie im Binnenverhältnis als Schnittstelle zwischen universitären Leitungsebenen und Sammlungen fungieren, die konzeptionelle Entwicklung und die interne Vernetzung fördern, die Erfassung der Bestände koordinieren sowie Beratungsleistungen anbieten; im Außenverhältnis sollten sie insbesondere die Vernetzung und Abstimmung mit anderen Einrichtungen befördern.
Die Statusbestimmung sollte als Ausgangspunkt für eine systematische konzeptionelle Weiterentwicklung der Sammlungen genutzt werden. Erst eine perspektivische Potentialanalyse erlaubt die Entscheidung darüber, ob und wie eine Sammlung erhalten und ausgebaut, sicher verwahrt, verlagert, aufgelöst oder geschlossen werden sollte. Aus einer systematischen Sammlungskonzeption lassen sich Ansprüche an Ausstattung und Ressourceneinsatz fundiert ableiten.
Der Wissenschaftsrat erkennt den Wert wissenschaftlicher Sammlungen als räumlich verteilter Infrastrukturen an. Diese dezentrale Struktur erfordert indes ein gewisses Maß an fächerübergreifender, selbst organisierter Vernetzung und Koordination der Sammlungen. Hierfür empfiehlt der Wissenschaftsrat dem Bund die mittelfristig angelegte Förderung einer entsprechend beratend und koordinierend tätigen Einrichtung, an der vor allem die mit Sammlungen befassten Fachgemeinschaften beteiligt sein sollten. Eine solche Einrichtung sollte zunächst insbesondere die universitären Sammlungen bei der Erfassung und Bewertung ihrer Bestände unterstützen und es ihnen er- möglichen, konzeptionelle Entscheidungen abgestimmt zu treffen. Grundsätzlich sollten durch eine stärkere Vernetzung der Sammlungen Kooperationen und Synergien gefördert werden. Insgesamt sollte die Sichtbarkeit der Sammlungen wissenschaftsintern sowie für Finanzierungsentscheidungen erhöht werden.
Für Erfassung, (digitale) Erschließung, Management, Pflege und Konservierung von Sammlungen sind Richtlinien und Umgangsstandards erforderlich. Bei deren Weiterentwicklung sollten die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) eine Vorreiterrolle spielen und insbesondere den universitären Sammlungen beratend zur Seite stehen.
Der Wissenschaftsrat empfiehlt die (Weiter-)Entwicklung angemessener Finanzierungsoptionen und Förderinstrumente für wissenschaftliche Sammlungen. Sammlungen an Universitäten sind als Forschungsinfrastrukturen eine Daueraufgabe und sollten als solche über die Grundfinanzierung eine angemessene Absicherung erhalten. Der Wissenschaftsrat betont, dass universitäre wissenschaftliche Sammlungen an den Universitäten als den Organisationszentren der Wissenschaft verbleiben sollten. Eine gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder z. B. im Rahmen der WGL stellt keine vorrangige Alternative zur universitären Trägerschaft dar. Die Zuwendungsgeber in Bund und Ländern sollten vielmehr neue Finanzierungsalternativen in Erwägung ziehen: Optionen wie etwa die Gründung von Stiftungen sowie die Ergänzung der Grundfinanzierung durch angemessene – auch mittelfristig ausgerichtete – Instrumente der Projektförderung (v. a. des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [BMBF], der Deutschen Forschungsgemeinschaft [DFG], der VolkswagenStiftung sowie weiterer Stiftungen) sind entsprechend zu prüfen.
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